Das anwaltliche Berufsrecht soll eine hohe Qualität der Beratung und Vertretung sowie Verteidigung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gewährleisten. Wir sind als Anwälte zuallererst jeder einzelnen Klientin und jedem einzelnen Klienten verpflichtet, auch wenn wir in einer grösseren Kanzlei angestellt sind. Sieben Todsünden sind dabei unter allen Umständen zu vermeiden, und zwar die Interessenkollision, die Verschwiegenheitsverletzung, Kollusion, Beratung ohne Akten- oder Vertragskenntnis, blinde Vorhersagen, taktische Manöver bzw. Effekthascherei und nicht zuletzt ungesicherte Vorleistungen.
1. Kollisionsprüfung (conflict of interest check)
Der Rechtsanwalt darf in einer Angelegenheit stets nur die Interessen einer Partei vertreten und auch nur diese Partei beraten. Wenn er auch für die Gegenseite - in welcher Form auch immer - tätig wird, kann dies als Parteiverrat strafbar sein und den Verlust des Patents zur Folge haben. Seltener Ausnahmefall ist etwa die Anwaltstreuhand, siehe dazu Kähler/Neumann, Widerstreitende Interessen bei der Anwaltstreuhand, NJW 2016, 1121 ff.
Was heute noch nicht wie eine Kollision aussieht, könnte morgen eine werden. Wenn sich ein Liebespaar gegen Forderungen oder gar Anschuldigungen eines Ex-Lovers zur Wehr setzen will, muss sich der Rechtsanwalt und insbesondere Strafverteidiger in aller Regel für einen der beiden Partner der neuen Beziehung entscheiden.
Diese Kardinalpflicht zur Vertretung nur einer Partei ist nicht abdingbar, sondern zwingendes Recht. Es gibt insoweit kein denkbares Einverständnis einer Klientin oder eines Klienten (irrig daher Krumm/Landmann/Vogl, Strafverteidigung 2024, S. 78).
2. Anwaltsgeheimnis (privacy, attorney's client privilege)
Ebenso wichtig ist die Wahrung höchster Verschwiegenheit und Diskretion. Schon die Mandatierung selbst unterliegt der Verschwiegenheit. Fragt ein Interessent, ob wir ihn gegen eine bestimmte Person vertreten können, ist auf das Erfordernis einer internen Kollisionsprüfung hinzuweisen. Verboten ist schon die Auskunft, dass wir diese Person vertreten.
Die Mitteilung, dass eine Kollision vorliegt, enthält keine Aussage dazu, ob eine Mandatierung erfolgt ist, weil eine Kollision etwa auch in einer Vorbefassung oder Befangenheit bestehen kann.
Familienmitglieder können ebenfalls nicht einfach den Stand der Dinge erfragen. Wir müssten vielmehr im Einzelfall gegenüber einer bestimmten Person von der Verschwiegenheit bis auf Widerruf entbunden werden, was eine entsprechende Aufklärung und eine schriftliche Erklärung uns gegenüber voraussetzt. Wenn der Bruder oder ein guter Freund des Klienten sich über einen sachbearbeitenden Rechtsanwalt beschwert, so ist er von der Kanzlei ebenfalls lediglich auf das Anwaltsgeheimnis zu verweisen.
3. Gesetzestreue (compliance)
Rechtsanwälte dürfen sich nicht instrumentalisieren lassen. So ist die eigene Rolle im jeweiligen Sachverhalt stets zu hinterfragen und jegliche unlautere oder gar strafbare Beihilfe auszuschliessen.
Wenn etwa eine Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr angeordnet ist, muss der Verteidiger mitunter Weisungen des Klienten ablehnen. Wenn der Verteidiger auch nur die Wohnungsräumung des Strafgefangenen im Namen des Insassen in Auftrag gibt, könnte er damit Beweismittel vernichten. Selbst Briefweitergabe ist ihm untersagt, weil die ausgehende Gefängnispost von der Staatsanwaltschaft geprüft wird. Wenngleich der Kunde der Kapitän und der Rechtsanwalt lediglich Steuermann ist, befreit eine Aufklärung über ein bestimmtes Vorgehen mitunter nicht von der Verantwortung oder Mitverantwortung für eine Havarie.
Zur Not muss das Mandat eben beendet werden; eine wirkliche Unzeit liegt in der Praxis kaum jemals vor oder kann zumindest durch Fristerstreckung oder Terminverlegung leicht abgewendet werden. Über die Tatsache der Mandatsbeendigung darf der Rechtsanwalt die anderen Beteiligten orientieren, keinesfalls aber über die Gründe (siehe oben zum Anwaltsgeheimnis, Ziffer 2).
4. Vertragsprüfung und Akteneinsicht
Eine Auskunft ohne Prüfung der konkreten Vereinbarungen oder Einsicht in die relevante Akte entspricht ebensowenig den Regeln der Kunst wie ein ärztlicher Eingriff ohne Anamnese. So wie ein Chirurg zur Vorbereitung einer Operation etwa Röntgenbilder benötigt, muss der Strafverteidiger vor jeglicher Einlassung den Akteninhalt genau kennen.
Weil die Vertragsfreiheit im Zivilrecht insbesondere unter Geschäftsleuten sehr weit reicht, passen die an den Rechtsfakultäten erlernten Standard-Muster allenfalls selten. Und mit allgemeinen rechtlichen Ausführungen zu einem Themengebiet kann der Betroffene mit seinem konkreten Anliegen nicht wirklich etwas anfangen. Zum Service des Rechtsanwalts gehört die Umsetzung der Rechtskenntnis für den besonderen, ihm anvertrauten Einzelfall.
5. Sachlichkeit
Unter anwaltlicher Sachlichkeit versteht man nicht etwa einen Verzicht auf Emotionalität. Vielmehr darf der Rechtsanwalt sich auch mit Inbrunst und kraftvollen Worten für seinen Klienten einsetzen, wobei in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland eher diplomatische Zurückhaltung geboten ist. Sachlichkeit bedeutet vielmehr im Rahmen des anwaltlichen Berufsrechts, den Sachverhalt zu nehmen wie er ist, also im Grunde Ehrlichkeit, soweit diese nicht dem Kollisionsverbot oder dem Anwaltsgeheimnis zuwiderläuft.
Zur Sachlichkeit gehört es auch, dem Klienten nicht das Blaue vom Himmel zu versprechen. Falsche Hoffnungen können sich übel rächen. Wahrscheinlichkeiten dürfen vermittelt werden, Sicherheiten gibt es in der Welt des Rechts eben nicht, weil es eher auf Kategorien wie vertretbar oder abwegig und vor allem belastbar ankommt. Wir Rechtsanwälte haben vor allem die Aufgabe, Ihnen bestmögliche Argumente herauszuarbeiten, die zu Ihren Gunsten streiten.
6. Strategie statt Taktik
Weder in der mündlichen Verhandlung noch in den vorbereitenden Schriftsätzen kommt es auf Effekte an. Effekthascherei ist sogar wie im Musizieren - siehe dazu meine kleine Philosophie des Pianospiels - verpönt und kann zum genauen Gegenteil dessen führen, was man damit beabsichtigt hat.
Wenn Ihnen ein Rechtsanwalt also weismachen will, dass der nächste Schriftsatz besser erst kurz vor der Verhandlung eingereicht werden sollte, so hat er entweder wenig forensische Erfahrung oder interessiert sich nicht wirklich für Ihren Fall und prokrastiniert. Taktische Manöver helfen in der Welt der Gerichtsbarkeit nicht, weil die Entscheidenden sich dadurch nicht blenden lassen und sogar in summarischen Verfahren stets wohlüberlegt begründen. Somit kommt es stets auf eine Gesamtstrategie an.
Wir haben insoweit auch die Aufgabe, den gegebenen Sachverhalt in einer Weise sprachlich zu repräsentieren, die schon selbst für Sie spricht. Ohne Verletzung der Sachlichkeit können wir den gerichtlich relevanten Sachverhalt zum Teil selbst erschaffen.
7. Vergütung
Der Eigenschutz ist nicht nur in der Ersten Hilfe von Bedeutung. Um uns frei um Ihre Angelegenheiten kümmern zu können, brauchen wir vielmehr auch Gewissheit über die Wirtschaftlichkeit.
Zu den obersten Anwaltspflichten gehört demzufolge die Aufklärung über die zu erwartenden Kosten des Einsatzes unserer Dienste und der öffentlichen Gebühren etwa für die Anrufung einer Schlichtungsstelle. Wir nehmen daher - soweit kein Fall der Prozesskostenhilfe bzw. in der Schweiz irreführend so genannten unentgeltlichen Rechtspflege (tatsächlich ein verstecktes Darlehen) vorliegt - entsprechende Vorschüsse entgegen.
Notfälle, die eine Abweichung von der Kostendeckung erlauben, sind selten. Wir sind zwar Rechtsanwalt geworden, um auch in Notfällen effizient zu helfen. Wenn unsere Tätigkeit aber unwirtschaftlich wird, ist am Ende niemandem geholfen.