Privatgutachten oder selbständiges Beweisverfahren?

Wenn Mängel vorliegen, fragt es sich oft, ob besser ein Privatgutachten eingeholt oder gleich ein selbständiges Beweisverfahren oder gar Klageverfahren vor Gericht eingeleitet werden soll.

Das selbständige Beweisverfahren wurde früher Beweissicherungsverfahren genannt. Es hat seine Wurzeln im römischen und kanonischen Recht. Neben der vorsorglichen Beweissicherung gewährt es Möglichkeiten der Schlichtung, Prozessvermeidung, Beschleunigung des Rechtsstreits und Hemmung der Verjährung. Dies gilt, selbst wenn das selbstständige Beweisverfahren in den letzten Jahren in die Kritik geraten ist. Die Kritik gründet sich vor allem in der Dauer, die ein solches Verfahren mitunter einnimmt und darin, dass es oft eine Klage gerade nicht vermeidet, sondern nur vorbereitet.

Bei Bauvorhaben hat dieses Verfahren dennoch eine sehr große Bedeutung. Es wird häufig zur Feststellung von bestimmten Mängeln beantragt. Diese müssen im Antrag in Frageform konkretisiert werden. Die Frage der Mangelhaftigkeit selbst ist eine Rechtsfrage und kann vom Sachverständigen nicht beantwortet werden. Abzustellen ist bei der Formulierung der Beweisfragen auf die Anknüpfungstatsachen.

Die Mängelrechte verjähren je nachdem, wann die Begutachtung des jeweiligen Mangels abgeschlossen wurde. Schließt der Sachverständige die Begutachtung des Mangels A also vorzeitig ab und benötigt für den Mangel B noch länger, läuft die Verjährung nach der Nachlaufhemmung von sechs Monaten weiter. Möglicherweise können dann wegen des Mangels A keine Rechte mehr geltend gemacht werden, wenn nicht ein arglistgleiches Organisationsverschulden vorliegt.

Die Bezugnahme auf das den Parteien bekannte Gutachten aus einem selbständigen Beweisverfahren reicht für eine Aufforderung zur Mängelbeseitigung aus. Die Auflistung der Mängel ist dann nicht erforderlich, so der Bundesgerichtshof im Urteil vom 09.10.2008 – VII ZR 80/07. Ein Bestreiten der im selbständigen Beweisverfahren festgestellten Mängel wird als endgültige Verweigerung der Mängelbeseitigung gewertet, so das Oberlandesgericht München, Beschluss vom 22.12.2010 – 9 U 5082/09.

Der Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens kann entweder im Rahmen eines anhängigen Rechtsstreits nach § 486 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) eingeleitet werden, oder zur Vorbereitung bzw. Vermeidung eines Rechtsstreits nach § 486 Abs. 2 ZPO bei dem Gericht eingereicht werden, das für die Hauptsache zuständig wäre. Im letzteren Falle spricht man von einem isolierten selbständigen Beweisverfahren.

Für dringende Fälle besteht ausnahmsweise unabhängig vom Streitwert die Eilzuständigkeit (Notzuständigkeit) des örtlich zuständigen Amtsgerichts. Der Antragsteller muss den Gegner und die Tatsachen bezeichnen, über die Beweis erhoben werden soll, die Beweismittel benennen (neben dem Sachverständigengutachten kommen auch Zeugen in Betracht) und die Tatsachen glaubhaft machen, die die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen. Tatsachen, die voraussichtlich nicht bestritten werden, brauchen nicht glaubhaft gemacht zu werden. Ein gängiges Mittel der Glaubhaftmachung ist die eidesstattliche Versicherung.

Die private Beauftragung eines Sachverständigen durch eine Partei stellt eine weitere wichtige Möglichkeit zur Vorbereitung der Beweisaufnahme im Bauprozess dar. Sie kommt aber auch in Betracht, um ein gerichtlich eingeholtes Gutachten zu erschüttern. Ein Privatgutachten ist zwar „nur“ Parteivortrag, aber als Grundlage der Überzeugungsbildung des Richters nach § 286 ZPO geeignet und darf aufgrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht übergangen werden.

Neben den Feststellungen im selbständigen Beweisverfahren und eingeholten Privatgutachten kommen als Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung auch Feststellungen aus anderen gerichtlichen Verfahren in Betracht, § 411a ZPO.

Die Frage, ob zunächst ein Privatgutachten eingeholt oder gleich durch Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens oder einer Klage gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden soll, wird häufig zugunsten des Privatgutachtens entschieden. Denn das selbständige Beweisverfahren dauert regelmäßig länger und führt regelmäßig gerade nicht zur Prozessvermeidung. Ein Privatgutachten kann zudem ein selbständiges Beweisverfahren oder auch eine Klage sinnvoll vorbereiten, sodass insbesondere die Beweisfragen im Antrag oder die Beweisantritte zielführend formuliert werden können. Der privat beauftragte Sachverständige steht zudem als sachverständiger Zeuge zur Verfügung und kann vom Gericht sogar als sachverständiger Zeuge vernommen werden.

Andererseits kann eine sichere Hemmung der Verjährung der Mängelrechte im Hinblick auf die Schwierigkeit des Nachweises von Verhandlungen nur mit einem selbständigen Beweisverfahren oder einer Klage herbeigeführt werden. Die selbständige Beweiserhebung steht einer Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren gleich, § 493 ZPO.

Oft ist die Einholung eines Privatgutachtens parallel zu einem laufenden Gerichtsverfahren oder selbständigen Beweisverfahren angezeigt. Mit einem solchen kann der Auftraggeber insbesondere die Beweiskraft eines gerichtlich eingeholten Gutachtens erschüttern und die Einholung eines „Obergutachtens“ bewirken. Hier empfiehlt es sich, den Aufbau am bereits vorliegenden Gutachten zu orientieren, um dem Richter den erforderlichen Vergleich zu erleichtern. Sein Ermessen zur Einholung eines gerichtlichen Zweitgutachtens, eines neuen Gutachtens im Sinne von § 412 ZPO, ist in diesem Fall reduziert.

Streitig und in vielen Fällen nicht geklärt ist, wer die Kosten eines Privatgutachtens zu tragen hat. Kostenschuldner des Privatgutachters ist zunächst einmal dessen Auftraggeber. Ob der Auftraggeber des Gutachtens die Erstattung der Kosten verlangen kann, hängt entscheidend davon ab, ob diesem ein materiell-rechtlicher (Nacherfüllungskosten, Schadensersatz) oder prozessualer (Kosten des Rechtsstreits, Erforderlichkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung) Anspruch zusteht. Insoweit existiert eine differenzierte Rechtsprechung. Es empfiehlt sich daher, vor Einholung eines solchen Gutachtens Rechtsrat zu suchen, um im Zweifel noch die Grundlage eines Erstattungsanspruchs zu schaffen.